Tag 1 die Sulzfluh
Es gibt einige Wege, die man im Winter mit Tourenski auf die Sulzfluh hinauf begehen kann. Der Aufstieg durch den Rachen ist sicher der beschwerlichste, und genau diesen haben wir uns heute ausgesucht. Bereits am Einstieg ist eine Geländestufe zu überwinden, die es in sich hat. Nach einigen steilen Spitzkehren müssen wir sogar die Ski abschnallen und auf allen Vieren hinauf klettern.
Doch beginnen wir mal von Anfang an: Heute läuft irgendwie alles schief. Wir starten zu spät, stehen am Pfändertunnel im Stau und Christian hat auch noch seine Sonnenbrille vergessen. Wir wollen über den Golmlift hinauf und dann abfahren zur Lindauer Hütte. Die vergünstigte Tourengeherkarte ist schnell gekauft und hoch geht’s. Das erspart uns den 700 Höhenmeter langen, aber flachen und langweiligen Anstieg zur Lindauer Hütte. Wir wollen uns gerade in die Abfahrt stürzen, da werden wir von den Pistenpolizei aufgehalten. Fahrten aus dem Skigebiet seien eigentlich nicht erlaubt. Aha, aber Tickets für Tourengeher werden trotzdem verkauft. Wir machen dem guten Herrn klar, dass wir auf die Sulzfluh wollen und daher da jetzt abfahren müssen. Das versteht er und lässt uns fahren. Wir fahren die Südhänge hinab, der Schnee beginnt bereits weich zu werden.
Dann der Anstieg zum Rachen. Inzwischen ist es schon nach elf Uhr. Nachdem wir das erste Steilstück durch die Latschenkiefern hinter uns gebracht haben wird das Gelände flacher. Eine einzige Aufstiegsspur eines Solisten ist zu erkennen. Es geht also. Dann näheren wir uns dem Rachen. Ein mächtiges Felsportal, dazwischen eine steile Rinne, oft über 30° geneigt. Einige Abfahrer kommen uns entgegen und haben Spaß im weichen Pulverschnee in der schattigen, nordseitigen Rinne. Wir kämpfen uns dagegen nach oben.
Dann kommt uns der Solist entgegen. Er war heute schon auf der Drusenfluh und auf der Sulzfluh, und ab Tschagguns und um halb sechs ist er los. Holla, alle Achtung. Ich schaue später auf der Karte nach, das sind über 3000 Höhenmeter Aufstieg! Er rät uns die Harscheisen anzulegen, denn der Rachen wird noch steiler und der Altschnee ist steinhart. Robert hat keine dabei. Weiter geht´s. Ich komme ganz passabel voran, Robert muss stellenweise die Ski abschnallen und zu Fuß hoch steigen. Keine leichte Übung.
So kommt es, dass wir erst kurz vor 17.00 Uhr auf dem Gipfel stehen. Jetzt zieht Nebel auf. Unter uns wohlgemerkt. Wir stehen im Abendlicht alleine über dem Wolkenmeer, mitten in der Sonne und nur wenige hohe Berggipfel rund um uns herum schauen ebenfalls heraus. Als extrem spirtuell würde ich diese Stimmung jetzt einfach mal einstufen. Das sind Momente, die vergisst man niemals. Zu dritt auf diesem Berg, um uns herum einfach nur nichts und dazu diese Sonne.
Bis wir uns umgezogen und was gegessen haben lichtet sich der Nebel wieder und der Weg durch den Gemschtobel hinab nach Partnun ist wieder einsehbar. Unsere Befürchtung hier im Nebel herum stochern zu müssen bewahrheitet sich glücklicherweise nicht. Leider ist die Abfahrt bereits wieder gefroren. Der schöne Firn den die Nachmittagssonne erzeugt hat, hat sich bereits wieder in ekelhaften Bruchhasch verwandelt. Am Ausstieg des Gemschtobels ist noch eine steinige Engstelle zu meistern. Während Christian und ich es vorziehen die Ski ab zu schnallen, beeindruckt Robert mit einem gekonnten Sprung über den Felsen und einer sauberen Ausfahrt hinein in den Gegenhang. Respekt!
Im Berghaus Alpenrösli erwartet uns ein Outdoor-Wirlpool und ein leckeres Abdendessen. Das haben wir uns heute redlich verdient.
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Tag 2 auf die Weißplatte
Nach einem köstlichen Frühstück sind wir heute rechtzeitig unterwegs. Es ist Punkt acht Uhr, im Tal ist noch Schatten. Mit zahlreichen anderen Tourengehern steigen wir auf in Richtung Engi. Während die meisten kurz davor schon in Richtung Rotspitze oder St. Antönier Joch abbiegen, begeben wir uns heute auf den Weg in Richtung Weißplatte. Knapp 900 Höhenmeter sind zu überwinden. Im Gegensatz zu der Schinderei im Rachen gestern, ist heute alles einfach und das Gelände ist meist flach. Bald scheint die Sonne über die Bergspitzen und wir überschreiten die einsame Hochebene in Richtung Plasseggenpass.
Am Pass geht es erst einmal ein Stück bergab. Eigentlich könnte man hier auf den Fellen runter rutschen, aber der erstklassige Powder verlangt förmlich danach, mit schönen Spuren versehen zu werden. Gesagt getan, Felle runter und ab geht´s.
An einer kleinen Hütte beginnt dann der Aufstieg auf die Weißplatte. Eigentlich hat man hier immer den Gipfel der Scheienfluh vor Augen, aber auf diese wollen wir ja gar nicht hoch. In einigen Spitzkehren arbeiten wir uns nach oben. Das Wetter ist traumhaft, die Sonne scheint und das Bergpanorama wird mit jedem Meter beeindruckender und schöner. Heute ist Fernsicht angesagt.
Erst wenige Meter vor dem eigentlichen Gipfel sieht man wo es hin geht. Von dieser Seite her ist die Weißplatte wirklich unscheinbar, währen sie nach Westen hin eine beinahe senkrechte 800 Meter hohe Felswand zu bieten hat. Jetzt erwartet und die Abfahrt von der Weißplatte. Spektakulär am Abgrund und voller Powder geht es in dem Nordhang nach unten. Robert erklärt sich spontan dazu bereit, eine Runde Kaffee auszugeben, da er schon nach wenigen Schwüngen den ersten Abflug zelebriert. Wir halten immer wieder an und besprechen die weitere Abfahrt. Immer wieder müssen wir die ideale Linie zwischen Felsen und Steilstücken suchen. Der Hang ist größtenteils unverspurt und der Schnee ist der absolute Traum. Plötzlich stehen wir vor einem Steilabbruch. Der Hang sieht zunächst noch gut aus, aber das Ende ist nicht einsehbar. Hier geht es für uns nicht weiter, wir müssen ein Stück nach rechts zu den anderen Abfahrtspuren rüber queren. Dann ein weiterer Hang, über 40° steil und voller Schnee.
Jetzt ist Risikomangement angesagt. Queren? ausgeschlossen, einzeln durchfahren? zu gefährlich. Seitlich an den Felsen bleiben? Sicher aber beschwerlich. Wir entschlissen und hier keinerlei Risiko einzugehen und fahren ganz links zwischen den Felsen ab. Einzeln versteht sich und unten raus fahren bis zu einem sichern Gegenhang. Die Rechnung geht auf, das Risikomangement hat funktioniert und wir meistern die Situation sicher und souverän. Durch eine halfpipeartige Rinne Gelangen wir schließlich nach unten.
Nach einer kurzen Orientierungsphase wird wieder aufgefellt und wir steigen zum Grubenpass auf. Ab hier führt ein Felsband zum Tilisunafürkle und weiter in Richtung Sulzfluh. Uns gelingt es eine gute Spur zu stecken, auf der wir fast keine Höhenmeter verlieren. Der Normalweg über die Tilisunahütte wäre länger gewesen und hätte uns weiter nach unten geführt.
Auf den letzten Metern hoch zum Rachen ist noch einmal ein Steilstück zu überwinden. Unter einer dünnen Lage Pulverschnee befindet sich steinhart gefrorener Altschnee. Ich gehe zwei Spitzkehren nach oben, verliere den Halt und rutsche zurück. Noch ein letztes mal müssen die Harscheisen aus dem Rucksack geholt werden, wegen 30 Höhenmetern. Egal, bald darauf ist der Einstig zum Rachen erreicht. Wir befinden uns abermals direkt dem Gipfel der Sulzfluh. Vom Tal her zieht Nebel herauf. Inzwischen weht ein kräftiger und eiskalter Wind. Schnell sind die Felle verstaut, die Jacken angezogen und ab geht es in die unverspurten Powderhänge oben am Rachen. Jetzt nochmals hoch auf den Gipfel zu gehen, ja das wäre möglich gewesen, knapp 20 Minuten hätten wir wohl gebraucht. Aber angesichts der Traumabfahrt die wir gerade absolvieren, denkt daran gerade niemand. Der aufziehende Nebel verzieht sich genau so schnell, wie er gekommen ist. Der kräftige Wind hat die meisten Abfahrtsspuren im Rachen wieder zugeweht, daher können wir die Abfahrt in vollen Zügen genießen.
Vor allem nahe der steilen Felswände an den Seiten des Rachens ist der Schnee einfach nur traumhaft. Unten im Latschenkiefernwald finden wir eine Spur, die es uns ermöglicht, die Steilsstufe, an der wir uns gestern so abgequält haben zu umgehen. Über die flachen Hänge unterhalb der Lindauer Hütte gleiten wir schließlich hinab bis Tschagguns. Wir können bis zum Parkplatz auf Skieren abfahren.
Hinter uns liegt ein traumhaftes Wochenende, bleibende Eindrücke der beeindruckenden Bergwelt bleiben lange in unsere Köpfen erhalten. Von dieser Tour können wir noch lange zehren. Und die Generalprobe zur Ski-Transalp Tirol kann als voller Erfolg verbucht werden.
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