Was nun? Wir stehen an einer Weggabelung. Nach links geht´s runter zum Stausee und weiter auf der Straße hinab ins Tal. Nach rechts führt der Weg erst einmal steil bergauf. Ich gönne Kerstin und Julia erst einmal eine kurze Verschnaufpause und trage mein Mountainbike den schmalen Pfad nach oben. Nach wenigen Metern sieht es besser aus, ein schöner Singletrail führt weiter hinab ins Tal. Ich laufe also zurück und trage Julias Fahrrad auch noch hoch. Dann geht es weiter…
Das 3123 Meter hohe Madrischjoch ist inzwischen ein echter Klassiker, den jedes Jahr sehr viele Mountainbiker befahren. Ich bin jetzt auch schon das dritte Mal hier. 2015 das erste Mal im Eissturm sind wir gerade noch so drüber gekommen, bevor eine Kaltfront die Überschreitung sehr gefährlich gemacht hätte. Und dann nochmal 2011 beim HanibalX einen Tag nach der Kaltfront. Auch dieses Jahr haben wir Glück mit dem Wetter. Bei blauem Himmel und Sonnenschein schieben wir die Bikes durchs Skigebiet im Angesicht von Gran Zebru (Königspitze), Zebru und Ortler. Daneben ist noch die Eisseespitze, die wir beim Inner Circle Project überschritten haben, zu sehen.
Der Weg ist steil, die Landschaft schön. Allerdings macht das Skigebiet im Sommer keinen so schönen Eindruck. Inzwischen stehen hier Schneekanonen auf über 3000 Metern. Klimawandel? Fehlanzeige, the show must go on!
Egal. Während sich Julia und Kerstin Zeit lassen und die Höhenmeter in der dünnen Luft Schritt für Schritt überwinden, kann ich auf den letzten Höhenmetern zum Pass ein paar Minuten Vorsprung generieren. Ich hatte gestern schon mit dem Gedanken gespielt, die Hintere Schöntauferspitze noch drauf zu satteln und die Abfahrt in Vinschgau auf 3325 m zu beginnen. Also erklimme ich den Gipfel. Der erste Sattel ist schnell erreicht, der Trail sieht zwar anspruchsvoll, aber größtenteils fahrbar aus. Der Weg zum eigentlichen Gipfel zieht sich noch deutlich länger als erwartet. Schließlich stehe ich oben und kann das beeindruckende Panorama genießen. Am Horizont erscheint gleich ein ganzes Duzend von Bergen, die ich im Winter mit den Tourenski bestiegen habe. Wow!
Ich lege die Protektoren an und kann tatsächlich fast komplett vom Gipfel abfahren. Lediglich an zwei kurzen Kletterpassagen muss ich absteigen und schieben.
Am Madritschjoch sind inzwischen zahlreiche Mountainbiker eingetroffen. Die meisten lassen sich aus dem Vinschgau oder aus Mals mit dem Shuttlebus bis nach Sulden fahren, nehmen die Seilbahn und müssen dann lediglich wie wir heute morgen die letzen 600 Höhenmeter aus eigener Kraft oder mit dem E-Bike bewältigen. Oben angekommen wartet erst einmal eine technisch anspruchsvolle Passage auf sie. Wir schauen dem Treiben ein paar Minuten zu. Nur wenige fahren die ersten Meter sauber und fehlerfrei runter. Die Mehrzahl schiebt. So auch bei uns. Ich fahre gleich zweimal. Erst mit meinem Bike und gleich darauf nochmal mit dem Rad von Julia.
Auf der weiteren Abfahrt wechseln sich immer wieder flowige und leicht zu fahrende Passagen mit technisch anspruchsvollen Streckenabschnitten ab. Ich warte immer wieder auf meine Mädels und mache Fotos. Bis auf zwei ausgesetzte Schlüsselstellen fahre ich alles auf Anhieb. Die beiden schwierigen Passagen gelingen mir beim zweiten Versuch. Wir haben alle drei sehr viel Freude auf dieser schönen alpinen Abfahrt und erreichen schließlich nach einem kurzen Gegenanstieg die Zufallhütte. Jetzt ist erst einmal eine Pause angesagt.
Nach dem Mittagessen geht es weiter zum verfallenen Hotel Paradiso. Julia kann sich von diesem “Lost Place” kaum mehr losreißen, obwohl der Zugang zu dem Gebäude verschlossen und des Erkunden der Ruine verboten ist. Schließlich fahren wir weiter auf einem stellenweise recht feuchten und fahrtechnisch anspruchsvollen Singletrail hinab zum Zufrittsee. Am Seeufer legen wir die Protektoren ab und verstauen diese im Rucksack. Weiter geht es auf einem Schotterweg am Seeufer entlang. Nach dem Gegenanstieg und dem nur teilweise fahrbaren Trail auf Höhe der Staumauer fahren wir ein Stück auf der Straße bis zur Kapelle St. Maria. Hier beginnt ein parallel zur Straße verlaufender Weg, der zum Teil auf Schotter später dann immer öfter auf Trails verlaufendem Weg das gesamte Martelltal hinab. Vorbei an Erdbeerplantagen erreichen wir unterhalb von Ennewasser einen alten Waalweg. An der Kapelle der Heiligen Barbara wechseln wir schließlich die Talseite, um zur Montani-Burg zu gelangen. Der Singletrail von der oberen zur unteren Burg stellt das Ende unserer kleinen aber feinen Alpenüberquerung dar.
Wir fahren durch die Apfelplantagen bis nach Goldrain, wo meine 2666 Höhenmeter lange Singletrailabfahrt endet. Ich bin unglaublich stolz auf meine zwei Komplizinnen, die gemeinsam mit mir die besonderen Herausforderungen dieser Tour gemeistert haben.
Wir sind auf der geplanten Route bei bestem Wetter sturzfrei und ohne Pannen und Defekte an unserm Ziel angekommen. Nachdem wir den ersten Zug in Richtung Mals knapp verpasst haben, besuchen wir noch kurz die Bar Visavis. Danach fahren wir entspannt mit der Vinschgauer Bahn zurück zum Ausgangspunkt der Tour. Kaum im Auto beginnt es zu gewittern und ein weiters Wochenende mit Starkregen, Murenabgängen und fallender Schneefallgrenze in den Alpen beginnt. Wieder einmal alles richtig gemacht!
Etappe:
- Schaubachhütte
- Madrischjoch
- (Hintere Schöntaufspitze)
- Zufallhütte
- Zufrittsee
- Martell
- Morter
- Goldrain
Karte und Buchtipp: