Der dritte Tag beginnt wie der zweite geendet hat: Kerstins Hinterreifen ist platt. Eigentlich kein Thema, aber dummerweise ist die Tube Vukanisierflüssigkeit im meinem Werkzeugtäschchen geplatzt. Also müssen die Selbstklebeflicken, die ich als Backup dabei habe her halten…
Nach der Reparatur geht´s los. Leider nur auf einem Schotterweg. Das ist das blöde, wenn man das Eisjöchl von Ost nach West befährt. Als dann auch noch der Asphalt anfängt wechseln wir auf die linke Talseite und versuchen auf dem Meraner Höhenweg weiterzufahren. Kerstin steigt bei der ersten Gelegenheit wieder aus. Das Ganze macht keinen Sinn! Ich quäle mich noch ein Stück weiter über zähe Gegenanstiege, Kuhweiden, Nasse Steine, Brennnesseln und gebe schließlich auch auf. Den restlichen Weg ins Schnalstal rollen wir gezwungenermaßen auf der Straße hinab. Unten angekommen hat der erste Selbstklebeflicken seine Selbstklebekraft verloren…
Wir passieren die Touristinfo. Gute Gelegenheit die Übernachtung zu buchen. Das Bellavista auf dem Hochjoch ist unser Ziel. Hier war ich im Witter auf Skitour schon einmal und daher möchten wir auch wieder dorthin. Dummerweise ist Vorsaison und die Hütte hat noch geschlossen. OK, dann halt Planänderung und gemütlich am Vernagt Stausee entlang radeln und irgendwo im Tal übernachten.
In Madonna die Senales machen wir erst mal einen Zwischenstopp. Es ist brütend heiß. Zu heiß für Selbstklebeflicken…
Der Versuch im Schnalstal einen Radshop zu finden entpuppt sich als Mission Impossible. Also weiter. Die Zahl der Flicken sinkt auf ein kritisches Maß.
Wir beschließen die Straße zu meiden und versuchen stattdessen den Pfad im schattigen Wald hoch zu fahren. Na ja, den größten Teil des Weges müssen wir schieben.
Der gemütliche Weg um den See entpuppt sich als durchaus anspruchsvoller Singletrail, der aus kräftig Körner kostet. Am Ende des Sees wechseln wir auf die Straße. Genug Kraft vergeudet. Die letzten Höhenmeter nach Kurzras werden auf der Straße absolviert. Es ist nachmittags um drei. Die geplante Übernachtung in dem hässlichen Skiort ist nicht wirklich eine Option. Die Seilbahn hinauf auf den Grawand fährt auch noch nicht und das Hotel da oben hat natürlich ebenfalls geschlossen. Vor uns baut sich eine fast 300 Meter hohe und beinahe senkrecht anmutende Skipiste auf. Der Weg auf´s Hochjoch. Ein Bier am Kiosk, ein paar Würstchen und Kerstins Entscheidung: Wir machen weiter und versuchen auf dem Hochjochhospiz zu übernachten. Ein Anruf, eine Buchung. Die Würfel sind gefallen.
Die Auffahrt sieht mörderisch hart aus. Die Realität ist noch viel schlimmer als der Anblick. Irgendwie kämpfen wir uns die Bikes tragend und schiebend nach oben.
Ich trage das Bike nach oben, während Kerstin sich ein Stück weiter unten schiebend betätigt. Irre steil die Rampe, die Sonne brennt. Irgendwann haben wir die schurgerade Rampe des Schreckens überwunden und rollen auf einer flacheren Passage kurz am Bach entlang. Doch schon bald ändert sich das Bild wieder. Ein ganzes Bataillon blauer Schneekanonen der heißen, wüstenartigen Landschaft wirken wie ein skurriler Versuch, den unvermeidlichen Klimawandel zu bekämpfen. Wir kämpfen ebenfalls, gegen die brutale Steigung, gegen den inneren Schweinehund und gegen den Berg. Unser Kampf ist zäh, jedoch nicht sinnlos. Wir erreichen schließlich das Hochplateau, auf dem die letzten Schneereste ganz offensichtlich erst heute gewichen sind und uns den Weg hinauf zum Hochjoch ermöglichen. Noch ein Stückchen schiebend, manchmal sogar fahrend erreichen wir die kleine Zollwachthütte. Ab hier geht es „nur noch“ bergab.
Ein Blick zurück zum Bellavista. Faßsauna und Outdoor Jakuzi müssen leider auf und warten dann beginnt die Abfahrt. Im Angesicht der Fineilspitze führt ein verblockter Höhenweg am Hang entlang. Groble lockere Felsen und Steine bilden den wohl längsten Rockgarden der Alpen. Für mich ein fahrtechnisch attraktiver und fordernder Trail. Für Kerstin leider ein Ding der Unmöglichkeit. Flow ist relativ. Das wird mir schlagartig wieder bewusst als dann auch noch dunkle Gewitterwolken aufziehen und es bedrohlich anfängt zu grummeln. Hilft nix, da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Für mich bedeutet das abfahren, Bike abstellen, hoch joggen Kerstins Rad holen und nochmal abfahren. Dummerweise fabriziere ich dabei an ihrem Hinterrad den nächsten Durchschlag. Noch ein Selbstklebeflicken. So langsam wird´s eng…
Irgendwann wird der Weg etwas einfacher und auch Kerstin findet so langsam ihren Rhythmus auf dem Trail. Dann sehen wir das Hochjochhospiz. Zum Greifen nahe, dennoch spricht der Wegweiser an einer Weggabelung noch von 1 Stunde Fußmarsch. Wir müssen noch auf einem Serpentinentrail 200 Höhenmeter in eine Schlucht abfahren und an der anderen Seite wieder zur Hütte aufsteigen.
Zu allem habe auch ich jetzt noch einen Tubelessreifen am Hinterrad, der nach einer etwas ruppigen Felspassage meint Luft verlieren zu müssen. Nach zweimal Aufpumpen dichtet die Mich zum Glück wieder ab und ich kann weiterfahren.
Das letzte Stück zur Hütte geht fast senkrecht nach oben. Teilweise ist der Pfad seilversichert und einige Felspassagen müssen überklettert werden. Es beginnt leicht zu regnen. Kerstein bekommt beide Rucksäcke und den Auftrag uns auf der Hütte anzumelden. Und mir ein Bier bereitzustellen. Ich kümmere mich um den Rest. Der Rest bedeutet 2 Mountainbikes die 150 Meter hinaufschaffen. Ein Rad hoch tragen, abstellen, runter laufen, das zweite Rad holen, ein Stück weiter hoch tragen, abstellen, runter laufen usw…
Ziemlich fertig erreichen wir Beide halbwegs trocken die Hütte, wo gerade das Abendessen serviert wird. Perfektes Timing. Das leckere Abendessen haben wir uns heute wirklich verdient.
Übernachtung:
Hochjochhospiz
Thomas Pirpamer
Dorfstrasse 129
6450 Sölden
Telefon (+43) 0664 5402574
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