Der Winter kommt, sagen zumindest die weiteren Wetteraussichten:

Ostalpen: Am Freitag auf den Bergen noch einmal sehr sonnig und optimales herbstliches Tourenwetter. Am Samstag in den gesamten Ostalpen stark bewölkt bis bedeckt und im Laufe des Tages aufkommende Niederschläge, Schneefallgrenze 1400m. Am Sonntag bedeckt und Schneeschauer bis 1000m herab.

Also, Urlaubszettel ausfüllen, Tour planen und ab in die Berge.

… unser Ziel ist heute ein hoher Gipfel zwischen an der Grenze zur Schweiz. Schon seit einigen Jahren fahren wir dort im Herbst hin und genießen die Zeit der geschlossenen Hütten und nicht mehr fahrenden Seilbahnen in den nun einsamen Bergen.

Inversionswetter

Unser Zeitplan heute ist eng, das Programm erheblich, die Tour anspruchsvoll…

4.18 Uhr: der Wecker klingelt, aufstehen. Kaffee, eine Scheibe Brot, Trinkblase füllen, Rucksack zusammen schnüren 5.00 Uhr:Bike ins Auto und los

5.15 Uhr Backstube, ich bin der erste Kunde, kaufe Croissants und Briegel, noch warm, frisch aus dem Ofen.

5:30 Uhr Bikes einladen bei Michael, Chis fehlt noch, geht nicht ans Telefon.

5:45 Uhr Chris hat verpennt, Pech gehabt, Günter wartet.

6:00 Uhr Autobahn 7:00 Uhr, Rastplatz. kurz ein Kaffee

8:50 Uhr, 230 km Autobahn runter gerissen. Wir wollen südseitig in der Sonne auf den Berg, dafür nehmen wir gerne die längere Anfahrt über die Schweiz in Kauf. Im Radio kommt gerade: Hochnebeldecke ist auf 1900 m Höhe gestiegen…

9.00 Uhr, 1048 m: Parkplatz. Bikes zusammen bauen, Brotzeit und Lampen einpacken.

9:17 Uhr. Abfahrt 10.30 Uhr: 1750 m wir sehen zum ersten mal die Sonne durch den Nebel schimmern

raus aus der Suppe

11.00 Uhr. 950 Höhenmeter sind hoch gekurbelt. Wir verlassen den Nebel und sind überwältigt vom Ausblick. hier oben ist es fast 10° C wärmer als unten in der Suppe.

vor der Wand

11.15 Uhr. Wir passieren eine Hütte. über 1000 Meter Aufstieg. 3.15 h sagt der Wegweiser bis zum Gipfel. Das ist eine Ansage! Die Berge hier fallen nach Süden hin alle senkrecht ab. Wir stehen vor einer 1000 m hohe Wand, senkrecht, sehr senkrecht. Der Aufstieg nimmt die Diretissima, alpiner Steig, Trittsicherheit erforderlich, blau markiert…das kennen wir ja. Aber wo zur Hölle soll es hier hoch gehen?

alpiner Steig

12.30 Uhr, 2400 m: Wir haben eine steile Rinne mit Ketten und Stahlseilen passiert. Steinschaggefahr. Besonders heute, erst Nachtfrost und jetzt brennt die Sonne in die Südwand. Schnell raus aus der Gefahrenzone. Noch eine bisschen klettern. Trittsicherheit heißt sicher treten. Jeder Schritt muss 100 % sitzen, denn mit dem schweren Bike auf den Schultern ist man fast nicht in der Lage einen Fehler oder gar einen Ausrutscher zu parieren. Erst mal durchatmen, eine kurze Rast auf einer Felsstufe. Der Nebel steigt nach oben…

12:50 Uhr: Der Weg wird nochmals steiler. Das ist inzwischen echt grenzwertig mit dem Bike. An einigen Stellen ist wieder Teamwork gefragt. Unter uns der gähnende Abgrund. Vor uns der von der Sonne angenehm warme Fels. Dann die ganze Optik, einfach unbeschreiblich. Oben Sonne, unten das Nebelmeer. Ansehen, genießen, in Hirn brennen zum Abrufen für schlechte Tage

der Weg wird flacher

13.10 Uhr: endlich wird das Gelände flacher. Der Untergrund wechselt von böseligem Kalk zu Sedimentgestein: Griffige gelbe Sandsteinadern und dazwischen Schichten aus schwarzem Schiefer. Noch 400 Meter bis zum Gipfel

14.00 Uhr: wir erreichen einen Sattel. Erstmals öffnet sich der blick nach Norden. Alle Berge unterhalb von 1200 Metern sind vom Wolkenmeer verschluckt. Der Gipfel rückt jetzt ebenfalls ins Blickfeld. Ansonsten sieht es hier aus wie auf dem Mond. Grauer und schwarzer Fels. 45 min sagt das Schild, dann sind wir oben

Ziel in Sicht

14.30 Uhr: Es sah nach weniger aus, aber der Schlussanstieg hat es in sich. Im sandigen Untergrund ist der Weg stets schräg geneigt, die Tritte verdrehen den Fuß. Zudem haben wir jetzt in einer Höhe von 2900 Metern ganz schön mit der dünnen Luft zu kämpfen. Der Puls rast, die Atmung ist stoßartig, die Schritte werden immer kürzer. Zudem lastet das Bike jetzt noch schwerer auf den Schultern.

Gipfelbier. Prost!

14.45 Uhr: Der Gipfel ist erreicht. WOW! Traumblick. Wir sind auf dem höchsten Punkt von im Umkreis von fast 100 km. Um uns herum versinkt alles im Wolkenmeer. Von Norden her drück die Kaltfront herein, der Horizont verschwimmt zu einer grauen Masse. Außer einem Pärchen sind wir drei alleine hier oben. Wir verdrücken kurz die Brotzeit, ziehen eine Jacke über und legen die Protektoren an. Dann noch schnell ein paar Fotos. Das Pärchen packt eine Bierflasche aus. Ein Gipfelbier, das wär´s jetzt! Sie bemerken wohl unsere neidischen Bicke, und schwupps kommt eine zweite Flasche aus dem Rucksack. “Wir hätten noch ein Bier dabei, wollt ihr?” Was für eine Frage!

die Abfahrt beginnt

15.00 Uhr: Der See 900 Meter unter uns ist vom Nebel verschluckt. Schade, dorthin wollen wir abfahren. Eigentlich sollten wir jetzt hier oben bleiben und die Sonne genießen, aber die Zeit drängt, wir haben erst die halbe Tour hinter uns. Also schwingen wir uns in den Sattel und nutzen das geniale Licht noch für ein paar Fotostops. Die Abfahrt gestattet sich von Beginn an anspruchsvoller, als der Blick von oben auf den Trail hatte erhoffen lassen. Rutschiger Schiefer, griffiger Sandstein und dann wieder bröseliger Kalk und dazu das ausgesetzte und steile Gelände zwingen uns immer wieder kurz zum Schieben.

15.30 Uhr: Jetzt ist erst mal Schluss mit fahren. Wir überqueren zu Fuß einen Felssturz. Mit dem Bike geht esrt mal gar nichts. Nach 5 Minuten ist der Spuk vorbei, der Weg wird besser.

im groben Geröll

16.00 Uhr: Wir erreichen eine Hütte. Der Trail hierher war extrem anspruchsvoll und kraftraubend. Steile Schlüsselstellen, enge Kehren und dazu immer wieder unberechenbarer loser Untergrund. Ein Gelände für echte Künstler und Artisten. Das Licht ist grandios, schräg von hinten. Die karge Felslandschaft ist bizarr schön.

ansprchsvolles Terrain

16.15 Uhr: Wir tauchen bei 2250 Metern in den Nebel ein. Schlagartig sinkt die Temperatur auf knapp über dem Gefrierpunkt. Der Trail ist jetzt gut fahrbar und macht Spaß

16.30 Uhr: verblocktes Terrain, Wurzeln. Die Federung schluckt ordentlich was weg. Dann sehe ich es blau schimmern. Wir erreichen das Seeufer. Ab hier führt ein breiter Weg bis zum nächsten Tragestück. Gefrierender Nebel, alles ist mit einer Tauschicht überzogen

16.45 Uhr: Beginn Tragestück. 45 min bis zum Pass sind angeschrieben. 300 Höhenmeter gilt es zu überwinden.

Ankunft am Pass

17.30 Uhr: Wir erreichenden den Pass. Der Weg hinauf war matschig, lehmig, glitschig. Dazu der kalte, deprimierende Nebel. Jetzt ist dies aber schlagartig vergessen, wir sind wieder oben in der Sonne. Großes Kino. Schräges Licht, Felstürme, Wind, Nebelfetzen. Die Kaltfront ist da, der Wind hat unter 0°C, lässt den Nebel zu Eis erstarren. Deckung suchen, Jacke an, Mütze auf und schnell weiter. das Navi sagt kanpp 4 km fast ebener Höhenweg bis zum Exit. Jetzt schwappt der Nebel über den Pass, läuft auf der Südseite den Hang hinab wie eine Lawine.

der Nebel kommt

17.50 Uhr: Der Trail geht auf und ab. Der Nebel hat uns eingeholt. Es ist bitter kalt. Die Brille ist beschlagen, die Finger werden kalt, die Felsen rutschig. Noch 3 km bis zum Exit. Dann sumpfige Wiesen, ich versenke mein Bike in einem Schlammloch, stecke drin bis zur Nabe. kann gerade noch abspringen bevor ich mich überschlage. Wir rollen uns vor Lachen. Noch 3 km bis zum Exit

18.10 Uhr: es dämmert, der Nebel wird dichter. Sichtweite knapp 20 m. Der Trail ist ausgesetzt. Links neben uns geht´s ins nichts. Rein in die weiße Suppe. Dann wieder ein Gegenanstieg. Noch 2 km bis zum Exit

18.25 Uhr. Verblockte Felspassage, links Abgrund, Steilstufe? Nein Danke. 1 km bis zum Exit. Es ist nun fast dunkel.

in Nebel

18.45 Uhr: Im letzten Dämmerlicht erreichen wir die Hütte. Hier sind wir heute morgen schon einmal vorbei gekommen. Exit Point erreicht. Alles wird gut. Der Hütenwirt kommt heraus: “Aha, die Verrückten. 12 Jahre ist er jetzt hier oben, aber mit dem Bike ist da noch keiner hoch!” ich weiß es besser, sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen. Egal, er ist gut drauf, wünscht und eine gute Fahrt und erzählt, dass er morgen zu macht.

18.50 Uhr: Lampe ist am Lenker montiert. Es beginnt leicht zu regnen. Wir sind ziemlich platt und eigentlich hätten wir jetzt Lust einfach hier zu bleiben und zu übernachten. Aber morgen ist der Winter hier, nein Danke. Und nun? Schotterweg? Erst einmal ja. Also los.

19.00 Uhr: Abzweig Singletrail. Es ist stockfinster. Wir haben Hunger und Durst. Der Nebel ist dicht. Ob es noch regnet oder schon schneit können wir nicht unterscheiden. Die Vernunft siegt: keine Experimente mehr. Wir vernichten die letzten 800 Höhenmeter auf Schotter.

19.30 Uhr: Ankunft am Auto. Tiefgefrohren, hungrig und ausgepowert laden wir die Bikes ein. Wow, was für ein Tag! Kein Platten, kein ernsthafter Sturz. Unvergessliche Eindrücke, ein Gipfel und einen Sonnenbrand, was will man mehr?

19.50 Uhr. Abfahrt.

21.20 Uhr: Rastplatz Aichstetten. Truck Stop. Hier gibt´s ordentliche Portionen zu fairen Preisen. Nach einem Stau bei Dornbirn und einem kurzen Tankstopp haben wir uns das jetzt verdient.

22.50 Uhr: A7, irgendwo bei Ulm. Ich kann nicht mehr!

23.10 Uhr: Endlich runter von der Autobahn. Erst Günter und dann Michael heim bringen.

23.30 Uhr. Endlich daheim. Totmüde falle ich ins Bett.

Fazit: Hammertour. 2300 Höhenmeter, davon nur knapp 1000 gefahren. Schwere technische Abfahrt. Absurde Wetterbedingungen. Dazu ein imposanter Gipfel und Bilder, die man nie vergisst. Wir sind glücklich, die letzte Chance in diesem Jahr ergriffen zu haben, jetzt sind wir erst einmal gesättigt, vorerst 🙂

Hier alle Bilder von der Tour. Und ein Video gibt es auch:

Viel Spaß

Warung: Sollte jemand geneigt sein, diese Tour nach fahren zu wollen, kann ich nur vor dem extremen und stellenweise extrem gefährlichen Aufstieg warnen. Auch die Abfahrt erfordert eine sichere und angepasste Fahrweise. Zudem ist auf der gesamten Tour mit losem Untergrund und daher mit Steinschlag zu rechnen, welcher die eigene Gruppe oder andere Personen gefährden könnte.

Warum gibt es zu dieser Tour keine detaillierte Beschreibung oder GPS Daten?
Grund: Vertrider Ehrenkodex

Kompass Karte Nr. 32: Bludenz, Schruns, Klostertal

Digitale Kompass Karte: Vorarlberg

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