Stellt Euch mal vor, Ihr habt einen tollen und nicht ganz billigen Urlaub in einem guten Hotel gebucht. Es ist bekannt dafür, dass es dort eine gute Küche und einen exzellenten Service gibt. Gespannt sitzt Ihr am Tisch und freut Euch auf das Abendessen. Nach einer langen Tour seid Ihr hungrig und Euch läuft das Wasser im Mund zusammen. Der Kellner kommt, stellt Euch drei Scheiben trockenes Brot und ein Glas Wasser auf den Tisch!
Ungläubig schaut Ihr auf und lasst den Blick durch das Restaurant schweifen. Am Nachbartisch werden gerade tellerweise leckere Sachen aufgetischt. So habt Ihr Euch das Essen eigentlich vorgestellt und ihr realisiert so langsam, das hier offensichtlich irgendetwas falsch läuft!
Der Landkreis Göppingen ist bekannt für sein erstklassiges Wegenetz. Zahlreiche Pfade an der Albkante locken seit vielen Jahren Mountainbiker aus ganz Süddeutschland nach Geislingen. Besonders die vielen Spitzkehrentrails locken sogar Gäste aus dem Allgäu an. Denn während dort im Winter und Frühjahr noch Schnee liegt, ist auf der Schwäbischen Alb das ganze Jahr Saison.
Auf der Touristikmesse CMT wurden im Januar die Löwentrails vorgestellt. Mit großer Erwartungshaltung auch in Baden Württemberg endlich legal befahrbare Mountainbikestrecken zu erhalten, freuen wir uns auf dieses offizielle Angebot im Landkreis Göppingen. Bei Outdooractive und auf den offiziellen Webseiten des Landkreises sind seit Anfang des Jahres 3 Strecken veröffentlicht. Insgesamt sollen es 7 Mountainbiketouren werden.
Mit folgendem Text wird für die Strecken geworben:
„Die ersten drei der insgesamt sieben geplanten Touren in Wiesensteig, Gruibingen und Geislingen/Steige mit einer Länge zwischen 16 und 30 Kilometern bieten vor allem für Einsteiger und E-Mountainbiker optimale Voraussetzungen und zeigen die Vielfalt des Albtraufs gekonnt auf. Die Trailanteile sind moderat, so dass technisches Können nicht als Voraussetzung für das Befahren der Runden notwendig ist. Im Fokus steht neben knackigen Anstiegen und der reizvollen Landschaft vor allem der Spaß am Bikesport. Mach die Löwentrails zu Deinem Revier!“
OK, das Angebot richtet sich an Anfänger und Einsteiger. Spaß und die reizvolle Landschaft sollen locken. Spaß bedeutet für Mountainbiker natürlich in erster Linie Singletrails und unbefestigte Wege. Knackige Anstiege sind ein Mittel zum Zweck, um die nächste Abfahrt zu erreichen. Dass der Landkreis Göppingen einiges an Landschaft zu bieten hat ist bekannt. Könnte also ganz reizvoll werden. Unsere Erwartungshaltung ist jedoch bereits gedämpft bevor es losgeht.
Die Strecken sind im April 2020 noch nicht beschildert. Die Wegweiser sollen aber bis zum Sommer an den Mountainbikestrecken angebracht werden. Ein roter Löwe soll in Zukunft den Weg weisen. Der grüne Löwe dient schon jetzt zahlreichen Besuchern als Wegweiser auf den Löwenpfaden, die vorrangig Fußgänger und Wanderer zu schönen Aussichtspunkten und vielen interessanten Sehenswürdigkieten auf der schwäbischen Alb führen. Wir müssen uns zunächst mit dem Download eines GPS Tracks begnügen und navigieren damit auf der Tour.
Wir haben uns die Mordlochrunde rausgesucht und freuen uns natürlich darauf „rasant hinab ins verträumte Roggental“ zu fahren. Wir starten auf einem Parkplatz in der Nähe von Donzdorf und steigen nach einer kurzen Auffahrt auf der Straße in die Runde ein. Wir folgen der Traufkante und dem grünen Löwen auf einem schönen Singletrail in Richtung Messelstein.
Aus Gewohnheit sind wir natürlich gleich in den Trail eingebogen und bemerken erst nach einem Blick auf´s Navi, dass der offizielle Löwentrail gar nicht auf unserem Singletrail, sondern parallel dazu auf einem breiten Schotterweg verläuft.
Dort sind einige Familien mit Kinderanhänger und Radfahrer auf Trekkingrädern und E-Bikes unterwegs. Mit unseren Mountainbikes wären wir erst gar nicht auf die Idee gekommen, diesen Weg zu nehmen!
Wir genießen noch kurz die schöne Aussicht über die Drei Kaiserberge Hohenstaufen, Stuifen und Rechberg bevor wir auf die offizielle Route abzweigen. Diese führt allerdings so weit entfernt an dem markanten Aussichtspunkt vorbei, dass man von der reizvollen Landschaft gar nichts sehen kann. Also, nichts mit Gourmet Menü, ab jetzt ist wohl eher trocken Brot mit Wasser angesagt. Nach einigen Feldwegen erreichen wir schließlich Schnittlingen. Eigentlich hätte man gleich an dem Ort vorbei fahren können, aber der radelnde Gast soll offensichtlich den Biergarten in der Ortsmitte nicht verpassen. Dieser hat heute natürlich geschlossen. Dafür geht es jetzt Zickzack durch den Ort. Ohne Navi und wegen der noch nicht vorhandenen Beschilderung wäre der Weg allerdings nicht zu finden. Jetzt kommt die größte Spaßbremse, die sich ein Mountainbiker vorstellen kann: sinnlose Höhenmetervernichtung auf einer asphaltierten Straße. Nervenkitzel pur bietet die Sand und Schotterauflage in einer breiten aber wegen dichtem Bewuchs sehr unübersichtlichen Rechtskehre. Ein kurzer Adrenalinschub jagt durch unsere Adern. Zum Glück war der Biergarten heute geschlossen, nicht auszudenken wenn hier jemand seinen Durst gerade eben mit einem alkoholischen Getränk gestillt hätte…
Der Weg biegt nach links ab und es geht steil auf einem teilweise feuchten und halb erodierten Weg hinab ins Roggental. Wir nutzen die tiefe Erosionsrinne, um etwas Mountainbikefeeling bei der Abfahrt zu haben. Anfänger und unerfahrene Tourenbiker werden an dieser Abfahrt allerdings wenig Freude haben.
Zum Glück wird der Weg bald flacher und wir folgen dem nun wieder breiten Schotterweg in Richtung Mordloch. Das ganze Tal duftet im Frühjahr nach Bärlauch. Es ist schön hier, sagen wir mal landschaftlich reizvoll wie es uns die Touristiker versprochen haben. Dann erreichen wir das Mordloch, dem Namensgeber der Tour.
Hier soll ein Wilderer einen Förster zunächst ermordet und dann in der Höhle versteckt haben. Die Karstquelle ist heute trocken.Ohne Licht kann man ein paar Meter hineingehen, für eine genauere Erkundung fehlt uns die notwendige Ausrüstung.
Wir setzen die Tour fort, fahren ein Stück auf der seit vielen Jahren beschilderten X-Ing Mountainbiketour, passieren die Roggenmühle und erreichen nach einigen Kilometern auf Forstwegen Eybach.
Obwohl es hier eigentlich einen Radweg Richtung Geislingen gäbe, führt der Track ein Stück auf der stark befahrenen Hauptstraße entlang, um dann oberhalb der Drehhalde tatsächlich ein kurzes Stück auf einem schmalen unbefestigten Weg in Richtung Geislingen zu führen.
Über uns ist der markante Himmelsfelsen zu sehen. Schon bald geht der Weg wieder in einen breiten Schotterweg über. Unterhalb des Anwandfelsens von dem ein schöner schmaler und bei vielen Mountainbikern beliebter Weg herabkommt weist uns der Track auf einer asphaltierten Straße in Richtung Geislingen.
Dort angekommen folgen wir einer längeren Schleife auf einem Schotterweg zunächst ins Längental hinein und dann auf der anderen Seite wieder heraus. Hier geht es ein Stück auf einem lehmigen Waldweg entlang.
Heute ist es sehr trocken und der Weg ist gut befahrbar. Von den Verhältnissen bei Nässe zeugen allerdings die tiefen Reifenspuren rechts und links der eingefahrenen Spur in der Mitte.
Bald darauf beginnt der lange Aufstieg auf den Tegelberg. Die Route folt jetzt ein ganzes Stück dem X-Ing Weg. warum man hier eine bereits seit Jahren bestehende Strecke integruert hat, statt wirklich was Neues zu schaffen könne wir nicht ganz verstehen? Zumal schon die X-Ing den Ansprüchen einer Mountainbiketour nicht einmal ansatzweise gerecht wird!
Oben angekommen führt die offizielle Mountainbikeroute auf Feldwegen über den Tegelhof nach Kuchalb. Aus Versehen sind wir falsch abgebogen und folgen einem wunderschönen Singletrail an der Albkante entlang und genießen den wunderbaren Ausblick ins Filstal. Heute sind zahlreiche Fußgänger unterwegs. Wir nehmen Rücksicht aufeinander, halten Abstand und können hier völlig problemlos den vorhanden Weg gemeinsam benutzen.
Wir erkennen allerdings, dass dieser Weg für Anfänger nicht wirklich geeignet wäre, zumal zahlreiche Wurzelpassagen, Steilstücke und Steinfelder unser fahrtechnisches Können und vor allem unsere Kondition stark herausfordern. Zudem geht uns jetzt langsam das Wasser aus. In Kuchalb treffen wir wieder auf den Löwentrail. Dieser führt rasant auf Schotter hinab ins Tal, um dann nach einem plötzlichen Schwenk nach rechts auf der brutal steilen Vogelhofsteige wieder nach oben zu führen. Spätestens hier wird jeder Anfänger diejenigen verfluchen, die sich so etwas ausgedacht haben. Selbst E-Biker werden auf dem knackigen Anstieg mit lockerem Schotter in den Kehren an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Tourenmountainbiker vermeiden es in der Regel, derartige Steigungen überhaupt mit in die Planung mit aufzunehmen. Uns kostet dieser Anstieg die letzten Körner.
Wir fahren noch die letzten paar Kilometer in Richtung Messelstein und beenden unsere Runde auf den Löwentrails mit einer schönen Singeltrailabfahrt.
Fazit:
Uns ist die Zielgruppe dieser Tour nicht klar!
Mountainbiker, die Singletrails, flowige Abfahrten und fahrtechnische Herausforderungen suchen werden hier bitter enttäuscht.
Naturliebhaber und Landschaftsgucker kommen auch nicht wirklich auf ihre Kosten. Zwar führt die Route an zahlreichen tollen Aussichtspunkten vorbei, aber knapp vorbei ist eben auch daneben. Um die Landschaft und die Naturschönheiten genießen zu können, muss man die offizielle Route verlassen und extra Kilometer in Kauf nehmen. Zudem muss man vorher wissen, welche Orte man ansteuern möchte.
Einsteiger und E-Mountainbiker lernen auf einer solchen Runde nichts. Die Abfahrten sind einfach nur dumm und stellenweise gefährlich und machen nicht wirklich Freude. Spätestens bei der absurd steilen Rampe zum Vogelhof wird sich auch diese Zielgruppe komplett veräppelt vorkommen. Nach der halben Strecke wird das ständige abspulen von Kilometern auf immer gleichen Forst- und Feldwegen jeglichen Reiz verlieren und man schaut nur noch auf den Kilometerzähler und hofft, dass man bald das Ende erreicht hat. Kinder und Jugendliche werden den ganzen Tag fluchen!
Einheimische Mountainbiker kennen das erstklassige Wegenetz der Region und können je nach Witterung und Jahreszeit stets die optimale Tour planen. Mountainbiker, die Singletrails und Flowtrails mit Sprüngen und Anliegern erwarten, werden weiterhin woanders fahren.
Gäste werden wegen einer solchen Tour sicher nicht in den Landkreis Göppingen reisen. Diese Mogelpackung wird über die sozialen Medien so schnell enttarnt werden, dass sich die Macher die heute noch fehlende Beschilderung eigentlich sparen können. Auch bei der Planung weiterer Touren muss dringend ein anderer Schwerpunkt gesetzt werden.
Was bleibt? Gavelbiker werden mit ihren Sportgeräten eine wahre Freude an der Tour haben. Ansonsten kann man das Mountainbike getrost daheim lassen und stattdessen ein Trekkingrad nehmen. Eigentlich könnte man mit der Mordlochrunde auch junge Familien mit Kinderanhänger begeistern, zumal die Strecken allesamt damit zu bewältigen sind.
Als Wintertour mit dem Fatbike wäre die Runde noch interessant. Zugegeben ein reizvoller Gedanke wenn der Landkreis bei Schnee und Eis mit einem Spurgerät eine maximal einen Meter breite Trasse schneefrei halten würde. Das könnte, schneereiche und sonnige Winter vorausgesetzt zu einer echten Marktlücke avancieren.
Zurück zu unsren Hotelgast mit Wasser und Brot. Er hat das Gespräch mit dem Tischnachbar gesucht. Dieser hat á la carte bestellt. Sich einfach die (Speise-)karte angesehen und sich die schönsten Sachen rausgesucht. Statt eine Pauschale bei einer Agentur zu buchen hat er einfach aus dem Vollen geschöpft. Dabei hat er sogar noch die Kosten für die Beratung gespart und sich vorab ein paar Tipps aus dem Internet geholt. Ach so, und von dem überteuerten Pauschalangebot mit mangelhafter Leistung hat er natürlich auch schon Wind bekommen…tja. Hätte man Mal auf die Leute gehört, die sich mit dem Thema wirklich auskennen.
Guten Appetit…oder gute Fahrt!
Links:
Die Webseite der Löwenpfade zeigt schön, was man auch als Mountainbiker erwartet hätte. Leider ist das Befahren einiger Wegabschnitte in Baden-Württemberg gemäß Landeswaldgesetz nicht gestattet. Die sogenannte Zweimeter-“Regelung” muss zwar dringend abgeschafft werden, allerdings gibt es sie leider immer noch. Daher rate ich ausdrücklich vor dem Befahren von Wegen unter 2 Metern Breite ab. Alle Fotos innerhalb dieses Artikels sind gestellt und stellen somit keinen Verstoß gegen diesen Paragraphen dar!
Die Löwentrails findet Ihr auf Facebook. Dort freut man sich sicher schon auf Eure Meinung zu diesem Angebot.
Ihr seid diese Tour auch gefahren oder wollt meinen Artikel kommentieren. Dies könnt Ihr gerne hier bei Facebook tun.
Schon lange gibt es ein unzureichendendes Angebot für Mountainbiker in Baden Würtemberg. Eine Tour über die schwäbische Alb, genannt X-Ing…20 Jahre und nichts dazu gelernt.
Alles über Mountainbiken und was Mountainbiker wirklich wollen könnt Ihr gerne in meinem Buch 101Dinge MTB nachlesen.