Es ist Freitag kurz vor Mittag und ich sitze im Zug nach Ulm. Bestes Bergwetter ist für das Wochenende vorhergesagt. Also nichts wie los, die Arbeit Arbeit sein lassen und so schnell wie möglich auf den Trail. Schnell bedeutet heute mit Hermann und nach Laax in der Schweiz, wo wir uns mit Stefan treffen.
Der Plan ist mit der letzten Gondel nach oben zu fahren, über einen Gratweg bis zum Vorabgletscher zu fahren und denn bei Einbruch der Dunkelheit im Licht unserer LED Lampen an Helm und Lenker auf einem alpinen Trail ins Tal fahren. Soweit der Plan für den heutigen Tag.
Der Plan geht auf, das Wetter passt, die Gondel erreichen wir trotz Stau und langer Anfahrt. Nach der Bergfahrt machen wir uns auf den weiteren Weg nach oben, während die letzten Downhiller im Bikepark nach unten ins Tal verschwinden. Zunächst fahren wir auf Schotter bergauf, und wechseln an der letzten Liftstation auf einen schmalen Singletrail. Dieser führt in einigen Wellen den Grat entlang. Letztendlich müssen wir die Bikes tragen. Die erste Abfahrt findet auf einem spektakulär ausgesetzten felsigen Grat statt.
Über unseren Köpfen kreist ein Steinader. Ein Stück weiter oben wird liefert ein Hubschrauber noch immer Teile für eine neue Seilbahn an. Wir bewundern die Flugkünste der beiden, während wir auf dem ausgesetzten Grat ganz schön mit den heftigen Windböen zu kämpfen haben. Wir erreichen schließlich ein flaches Wiesenstück und queren hinüber zum nächsten Schotterweg. Dieser führt und schnell hinauf bis an den Gletscher.
Leider verschlechtert sich das Wetter hier oben immer mehr. Nebelfetzen verdecken die Abendsonne, der Wind ist beißend kalt. Rasch machen wir uns bereit für die Abfahrt und fahren über die vom Gletscher glatt geschliffenen Felsen abwärts. Wir kreuzen nochmals einen Schotterweg, bevor wir uns bald darauf in einer aundraartigen Vegetationszone wieder finden. Ein schmaler Wanderweg führt durch diesen sensiblen Bereich. Dieser ist ausgetreten bis hinunter auf den blanken Fels. Dieser ist ruppig und stellenweise zerklüftet. Fahrtechnisch kommen wir hier voll auf unsere Kosten, ohne dabei die Vegetation zu beschädigen. Bald darauf erreichen wir wieder einen Schotterweg, der bergauf zur nächsten Bergstation führt. Inzwischen ist es fast 20.00 Uhr abends, also noch Zeit genug unsere Tour mit einem weiteren landschaftlichen Leckerbissen zu versüßen.
Der Sengesboden ist ein topfebener Talgrund, in den sich von mehreren Seiten Wasserfälle und Bäche ergießen. Das mitgeführte Sediment ergibt bei seiner Ablagerung schöne fächerförmige Strukturen. Umrandet wird der Sengesboden von steilen Kalksteinwänden. Die Abendsonne, die inzwischen unter den Wolken hindurch scheint, taucht diese bizzarre Landschaft in ein einzigartiges, rötliches Licht. Wir fühlen und gleich in die Welt von „Herr der Ringe“ vesetzt und begeben uns auf die Abfahrt in Richtung Mordor.
Der Trail ist steil und stellenweise ausgesetzt. Einige Spitzkehren und Steilpassagen fordern unser ganzes Fahrkönnen. Immer wieder ist Trialtechnik für das Überwinden den komplexen Sektionen erforderlich. Dennoch gelingt es uns alle Passagen dieser Abfahrt als „fahrbar“ zu deklarieren. Unten im Sengesboden angekommen müssen wir einige Bäche und sumpfige Abschnitte überwinden. Die Sonne ist längst untergegangen und langsam schwindet das restliche Licht. An einer Hütte machen wir kurz Rast und machen die Lampen an Lenker und Helm einsatzbereit. Beim Start zur Abfahrt könne wir gerade noch den Trail am Hang ausmachen, dann verschluckt uns die Finsternis. Der Trail ist in den gleißenden Schein der LED-lampen getaucht, rund herum nur noch schwarze Nacht. Unten im Tal, gute 1500 Meter unter uns leuchten die Lichter der Ortschaften und der Straßen, hier oben am Berg nur die Sterne und 3 Biker beim Nightride. Ein kurzer Gegenansteig noch, dann geht die Abfahrt aus einem ausgesetzten Gratweg weiter. Niedrige Vegetation, Latschenkiefern, unter uns der felsige Untergrund. Spitzkehren, Absätze, Stufen, links gähnt schwarz und unberechenbar ein tiefer Abgrund. Absolute Präzision ist gefragt, die Linie will wohl gewählt sein. Einen Abflug zu riskieren ist hier und jetzt indiskutabel. Konzentration, reflexartige Reaktionen, die Sinne sind geschärft. Wir wechseln uns mit der Führungsarbeit ab, wer hinten fährt hat´s leichter. Dann erst mal Rast, einmal durchatmen, die Muskeln dehnen, die Hände ausschütteln. Weiter geht´s. Wir tauchen in der Bergwald ein, der Trail wird einfacher und ist flüssiger zu fahren. Die Geschwindigkeit steigt dafür. Es macht Spaß die Serpentinen hinunter zu donnern. Wurzeln und von Tau befeuchtete Kalksteine machen aber auch diese rasante Fahrt ins Tal zu einer echten Herausforderung. Dazu den Tunnelblick im Schein der Lampen. Die Baumstämme und Felsen rauschen schemenhaft an uns vorbei, dann eine Wiese, ein flaches Stück. Wir haben die Bikeparkstrecke erreicht. Ab jetzt heißt die Herausforderung die richtige Linie auf Northshores und Anliegern zu finden. Auf der unbekannten Strecke die Sprünge richtig einschätzen, den Speed richtig zu dosieren und die Anlieger gut mit zu nehmen. Gegen 2230 Uhr erreichen wir die Straße, welche uns in wenigen Minuten zurück nach Laax führt.
Was für eine Tour! In Ilanz finden wir noch eine Pizzeria, wo der Ofen um die Zeit noch nicht aus ist. Wir sitzen noch lange und genießen die laue Sommernacht. So muss ein Freitag enden, der morgens noch ganz gewöhnlich im Büro begonnen hat.
Links:
Wikipedia: Glarner Hauptüberschiebung
Elm: Glarner Hauptüberschiebung