Mein Rücken schmerzt. Seit über einer Stunde schleppe ich das 15 kg schwere Bike durch ein nicht enden wollendes Geröllfeld nach oben. Die Füße Schmerzen ebenfalls, auf den gestrigen Tragepassagen habe ich mir heftige Blasen an den Fersen eingefangen. Einen Schritt vorwärts, einen halben zurück. So geht es die ganze Zeit. Dave und Harry kämpfen ein paar Meter über mir mit der rutschigen Masse. Ich komme mir vor wie auf einer Reise auf einem anderen Planeten. Den Wanderern die uns begegnen scheint es auch so zu gehen, sie starren uns an wie Außerirdische.

Harry: “Auf den ersten hundert Höhenmetern musste man ziemlich aufpassen, dass man auf keinen Bergsalamander tritt. Ich war total begeistert. Ich hatte noch nie so viele von diesen Tierchen gesehen.”

Dave: “Ich bin mal wieder begeistert von der Tragetechnik der Vertrider. Erst so werden unsere ersten Etappen vernünftig realisierbar!
Das Unterrohr liegt dabei so stabil auf der Schulter, dass ich sogar „freihändig“ den Anstieg bezwingen kann und eine Flasche in meiner Hosentasche deponiere, um unterwegs zu trinken … und den Rücken ein klein wenig zu entlasten.
Anstrengend ist es ja natürlich trotzdem ein wenig. Aber die Last fühlt sich einfach nur so an wie ein schwerer Rucksack. Und irgendwie liegt mir das Tragen, auch wenn ich mich frage, ob ich an Stelle des Straßentrainings nicht vielleicht eher im Studio den Rücken hätte stärken sollen! ;-)”
Irgendwann fängt jedoch auch diese Tragetechnik an unbequem zu werden. In den nächsten Tagen gehen wir daher dazu über, die Protektoren am Unterrohr zu befestigen. So erhöht sich die Auflagefläche und macht die Sache deutlich bequemer!
Die ganze Nacht hatte es geregnet, jetzt ist der Himmel bewölkt und die Temperaturen sind mit knapp über 10°C ganz angenehm für die Schinderei. Die Feuchtigkeit im Geröll macht die Sache auch etwas griffiger, so dass wir die 500 Höhenmeter hinauf zur westlichen Dremelscharte irgendwann hinter uns gebracht haben. Was wird uns dort oben erwarten? Auf den letzten Metern steigt die Spannung. Ein besonderes Erlebnis, wenn man ungewöhnliche Pässe probiert, die nicht schon Hunderte vor uns mit dem Bike versucht haben.
Ich blicke über die Kante hinab zum Steinsee…ein gähnender Abgrund tut sich auf. Eine enge Geröllrinne führt nach unten, in der Mitte baumelt ein Stahlsteil. Ich schätze 200 Höhenmeter Abgrund sind zu meistern. Zu unserm Glück beginnt es nun auch noch zu regnen. Nach ein paar Schartenfotos starten wir. Der Abstieg beginnt. Die Bergstiefel sinken tief ein im Geröll, jeder Schritt löst eine kleine Gerölllawine aus, das Stahlseil nutzen wir dennoch nur ab und zu zum Festhalten.

westliche Dremelscharte

Blick von der westlichen Dremelscharte zum Steinsee
Zu allem Überfluss kommen jetzt an die 40 Wanderer die Rinne hoch. Wir warten erst einmal ab, denn der Steinschlag, den wir bei jeder Bewegung auslösen können ist zu gefährlich für die Leute weiter unten. Dann tut sich eine Lücke auf, wir arbeiten uns weiter nach unten vor. An einigen Steilstellen müssen wir jetzt doch das Stahlseil zur Hilfe nehmen. Doch nach einer halben Stunde Turnerei ist es geschafft. Der Regen hat ebenfalls nachgelassen. Fortan führt ein durchgehend fahrbarer Trail hinab zum Steinsee. Schade, dass es heute kühl und regnerisch ist, denn das blaue Wasser lädt hier eigentlich zu einer kurzen Badepause ein. Statt dessen zweigen wir schon vor dem See in Richtung Steinseehütte ab. Und wieder das gleiche Spiel wie gestern Abend an der Hanauer Hütte: die Gäste und der Wirt kommen heraus und wollen wissen wo wir denn plötzlich herkommen. Aha, von der Dremelscharte, wir müssen verrückt sein, heißt es. Kann schon sein. Jedenfalls sind die Reaktionen auf unser Erscheinen an diesem Ort freundlich überrascht und keinesfalls feindselig.
Nach kurzem Stopp fahren wir weiter und genießen eine Singletrailabfahrt der Spitzenklasse auf einem flowigen Trail mit unzähligen Schlüsselstellen in Kehren und an Stufen. Wanderer sind auf diesem Abschnitt heute Morgen bis auf 4 keine unterwegs.
Ab der Talstation der Materialseilbahn geht der Trail in einen breiteren Weg über. Dieser führt in Wellen und engen Kehren durch den Latschenkiefernwald. Zahlreiche Buckel verleiten uns zu einer wahren Sprungorgie. Diese Abfahrt ist der pure Spaß. Langsam wird das Wetter besser und wir erreichen einen Forstweg. Wir haben jetzt über 1.000 Höhenmeter Abfahrtsspaß hinter uns. Die Schinderei hinauf zur Dremelscharte hat sich gelohnt.
Jetzt wollen wir eigentlich den Wanderweg nach Starkenbach befahren, doch dieser ist leider gesperrt. Da es ziemlich senkrecht in den Bergwald hinein geht und wir nicht wissen, warum der Weg versperrt ist, entschließen wir uns schweren Herzens den Schotterweg in Richtung Zams zu nehmen. Steil führt dieser nach unten und endet schließlich in einem Steinbruch.
Unser Versuch hier den Inn auf einer Brücke zu queren scheitert an der mit einem Radfahrverbot belegten Autobahnauffahrt. Daher müssen wir bis nach Starkenbach auf die Bundesstraße 171 ausweichen, bis wir schließlich auf den Inntalradwanderweg gelangen können. Dieser führt uns schnell nach Imst.
Hier fahren wir auf dem Pitztal-Mountainbike-Track nach Arzl hinauf. Dort wollen wir eigentlich etwas essen, finden aber keine ansprechende Lokalität im Ort. Also geht es weiter hinauf nach Wenns. Es ist jetzt schwülwarm und unerträglich drückend. Ich fühle mich wie in einem römischen Dampfbad. Die Moutainbikeroute ist nach einigen Kilometern auch noch von einer Baustelle versperrt, die wir umständlich umtragen müssen. Wir hätten hier besser auf der Straße bleiben sollen. Dann wären wir den plagenden Bremsen auch eher entgangen!
In Wenns finden wir endlich eine Pizzeria und beschließen sogleich den Rest des Pitztales mit dem Bus zu bewältigen. Schließlich machen wir eine Hochgebirgstour und keinen Radtourismus im Talgrund.
Gleich nach dem Mittagessen hängen unsere Bikes am Heckträger des ÖPNV. Wir fahren die 35 km hinauf bis Mittelberg. Zahlreiche Wanderer tun es uns gleich und steigen gemeinsam mit uns aus. Wir radeln gemütlich weiter hinauf bis zum Gasthof Gletscherstüble. Ab hier erwartet uns ein heftiger Anstieg hinauf zur Braunschweiger Hütte. 850 Höhenmeter Tragen sind angesagt…mindestens. 2 Stunden, dann ist es 18.30 Uhr, das passt genau zum Abendessen. Die Idee die Bikes in der wackeligen Materialseilbahn zu verstauen verwerfen wir gleich wieder und machen uns auf den Weg entlang des Wasserfalls, in dem das Schmelzwasser des Pitztaler Gletschers ins Tal hinab donnert. Das eiskalte und fein zerstäubte Wasser kühlt die Luft und macht die Tragepassage zumindest von den Temperaturen her erträglich. Von den Wanderern, die uns begegnen werden wir wieder einmal bewundert oder mit einem Lächeln auf den Lippen einfach für völlig verrückt erklärt.
Dave: “Ein Wanderer überholt mich im Laufschritt. Anscheinend will er den Aufstiegsrekord brechen! Auf jeden Fall meint er im Vorbeigehen mit ernster Miene: „Übertreiben kann man’s immer!“ Im ersten Moment fasse ich es als kritische Bemerkung auf, doch dann schaut er verschmitzt und hält seinen Daumen demonstrativ nach oben!”
Überrascht bin ich auch von den Reaktionen eines Wanderpaares, welches uns entgegenkommt. Der Mann dreht sich auf einmal wieder um und läuft hinter Harry her, welcher ein Stück voraus läuft! Ich vermute schon, dass Harry etwas verloren hat, bis der Wanderer auf einmal seine Kamera hervorholt und Fotos von ihm und anschließend auch von uns macht.

Harry:”Geschafft von dem schwül warmen Wetter, sowie dem kräfteraubenden Pitztalradweg bis nach Wenns und der einschläfernden Busfahrt wollte ich mich eigentlich nicht noch die fast 900 Höhenmeter zur Braunschweiger Hütte raufquälen. Doch es war einfach zu früh, um nach einem Zimmer zu fragen.”
Irgendwann öffnet sich der Blick auf den Pitztaler Gletscher. Atemberaubend liegt er im Abendlicht und schmilzt langsam vor sich hin. Schade drum! Viel schlimmer noch, dass dieses wildromantische Tal in wenigen Jahren schon zu einer Skipiste verunstaltet werden soll. Dann gibt es Geröll und Erosion statt Gletscherbach und Felslandschaft. Es lebe der Kommerz!

Wanderung zur Braunschwaiger Hütte
Wanderung zur Braunschwaiger Hütte
Atemberaubend auch die Höhe. Ab 2.500 m kämpfe ich merklich mit der dünnen Luft. Schließlich erreichen wir die 2.758 m hoch gelegene Hütte. Harrys nicht ganz ernst gemeinte Frage nach dem Radständer löst bei den Anwesenden schallendes Gelächter aus.
Dave: “Die Ankunft auf dieser bei Bikern eher untypischen Hütte fällt wieder ziemlich herzlich aus! Noch etwas weiter von der Hütte entfernt, geht auf den letzten Höhenmetern oben auf einmal ein Fenster auf und ein Wanderer bekundet mir lauthals seinen Respekt vor unserer Leistung.”

Beim gemütlichen Beisammensitzen in der Hütte knalle ich mit einer meiner Blasen an einen Heizkörper. Ein Schrei durchstößt die Gaststube, das Blut läuft. Ich glaube morgen muss ich die Sache irgendwie medizinisch versorgen. Kurz nach dem Essen erstrahlen die Berge in der untergehenden Sonne. Ich renne trotz der Kälte draußen rum und schieße unzählige Fotos.

Abendstimmung

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Alle Fotos von Tag 2

Hier unser Streckenverlauf

Höhendiagramm Tag 2

Strecke:

Hanauer Hütte

westliche Dremelscharte

Steinseehütte

Inntal

Imst

Pitztal

Braunschweiger Hütte

Übernachtung:

Braunschweiger Hütte (2758m) Tel. 0043/664/5353722