Donnerstag, Vierter Tag

Dolomitenträume

Wir erwachen an diesem Morgen zwischen sieben Uhr und halb acht. Wir alle haben recht gut geschlafen. Ich pelle mich aus dem Schlafsack um mich etwas zu bewegen.
Langsam kriecht die Sonne zwischen den Baumwipfeln hindurch, hinein auf die Wiese, auf der wir liegen. Ihre Strahlen haben noch nicht die nötige Kraft uns richtig aufzuwärmen. Doch dafür haben wir einen Kaffeekocher im Auto.
Das gemeinsame Frühstück lässt dann schnell die Anstrengung des vergangenen Tages vergessen. Zur Morgentoilette gehen wir dann noch mal zum Gasthof Alpenrose. Die Besitzer sind freundlich gestimmt und haben nichts dagegen, dass wir ihre sanitären Einrichtungen benutzen.
Das Filmteam kommt auch mit dem Auto zu dem Platz vor dem Gasthof gefahren. Sie füllen noch ihren Wasserkanister und fahren dann über St. Lorenzen zu der kleine Kapelle bei Saalen, an der wir uns mit ihnen treffen sollten.
Wir radeln dorthin über einen Trail der direkt von Montal hinab ins Tal und dann nach dem Überqueren der Straße nach Enneberg den Hang hinauf geht.
Zu unserer eigenen Überraschung ist er völlig fahrbar und sehr schön. Innerhalb einer halben Stunde sind wir am Treffpunkt.
Michael und André sind dort schon und bauen gerade das Mikrofon und die Kamera auf das Dach des Autos. Wir fahren an ihnen vorbei.

Von dem Höhenweg dem wir nun folgen hat man eine grandiose Aussicht in die Dolomiten. Während die Straße unten im Tal weitestgehend im Schatten verläuft und sich der Auto- und Schwerlastverkehr dort durchquetscht, ist es hier oben ruhig uns sonnig. Wir werden nur von unserem Kameraauto verfolgt.

 

Man macht dort zwar schon um die 600 Höhenmeter bevor die eigentliche Etappe losgeht, doch die Zeit vergeht schnell. Im Windschatten kann man die leicht ansteigende Straße hinauffahren und die Aussicht genießen. Von der Pfarre Enneberg rüber zum Eingang des Fojedöratals ist der Weg nicht gerade leicht zu finden. Die markierten Wanderwege aus der Karte (12 und 13) können wir nicht auffinden.

Carsten:
"Schöne Wege in der Karte aber nicht markiert, dann wieder Abzweigungen die nicht in der Karte sind. Höhe halten, am Hang bleiben und dabei noch mal 300 m hoch...zum Verzweifeln. Dann herrscht Uneinigkeit in der Gruppe wie es weiter geht. Der Lift in der Karte ist nicht sichtbar...ich verlasse mich auf mein Gefühl, fahre die Wiese runter, es passt...der Rest der Gruppe zögert noch. Ich hätte nicht gleich losfahren sollen..."

Wir versuchen so etwa dem Verlauf der Wege zu folgen und kürzen schließlich über die Wiese eines Bauern ab, der uns eigentlich dazu auffordert den Hügel weiter hinaus zu fahren. Komischer Weise kommen wir daraufhin aber genau dort raus, wo wir eigentlich hinwollten. Und da wartet auch schon wieder unser Filmteam auf uns. Ich weiß nicht, wie sie es so schnell dorthin geschafft hatten. Aber prima. Sie haben sich bei einer Bachquerung des Weges aufgebaut und wir müssen nur noch durchfahren.

Dave:
"Schon unglaublich wie viel Zeit solche Dreharbeiten benötigen! Zuerst muss die beste Position für die Kamera gefunden werden. Unsere Kameraleute bauen dazu das Stativ mitten im Bach auf. Anschließend müssen sie die Kamera richtig einstellen, bevor wir mehrfach in verschiedenen Geschwindigkeiten, an unterschiedlichen Stellen und in etwas variierenden Abständen zueinander durch den Bach fahren. Eine halbe Stunde vergeht im Ausgleich für die eine richtige Aufnahme, welche im Film wohl nur einige Sekunden zu sehen sein dürfte - wenn überhaupt!
Aber es macht uns nicht viel aus. Schließlich werden alle Mühen durch die im Film festgehaltenen Tourerinnerungen mehr als wett gemacht!"

Rolf:
"Unglaublich, womit man sich in Drehpausen die Zeit vertreibt: Carsten zum Beispiel nimmt meinen Sunblocker für die Lippen, schminkt sich ungewollt wie ein Clown und küsst dann seinen Sattel. Vielleicht war das Bike deshalb zickig?"

Wir nutzten die Gunst der Stunde und drehten in der Nähe noch weitere Einstellungen. Dann geht es das Fojedörtal hinauf.
Es sollte sich mit als schönste Etappe des gesamten Alpencross herausstellen. Fast tausend Höhenmeter geht es hinauf bis zum Kreuzjoch.
Der Weg ist sehr fein geschottert und dadurch angenehm hinaufzufahren. Der erste Teil im Wald bietet durch baumlose Stellen schon immer wieder freien Ausblick. Weiter oben dann ist die Sicht ein Traum.
An der Vegetation sieht man jetzt deutlich, dass man sich im Süden der Alpen befindet. Die Baumgrenze ist nach oben gewandert. Die Bäume sind knöchern, verkrüppelt und niedrig und die Büsche am Wegesrand trocken und brüchig.

Am letzten Stück vor dem Joch wartet noch eine kleine Herausforderung auf uns - eine steile Rampe mit über 30% Steigung. Und das bei dem losen Untergrund ...!
Kurz vor dem Joch steht eine alte Schranke die sofort an "Spiel mir das Lied vom Tod" erinnert. Das Holz ist alt und von der Sonne ausgedörrt. Als Gegengewicht zum Schlagbaum häng an einem Seil ein dicker Stein und mehrere Metallschrottteile.
Carsten überholt mich kurz vor der Schranke und öffnet sie. Die Sonne brennt mit voller Kraft danieder. Links und rechts des Weges ist nur feines Geröll und Sand zu sehen. Nur einzelne Grashalme haben dazwischen überlebt.

Dave:
"Die letzten Meter werden beiderseits durch Abhänge eingerahmt. Wir sehen vor uns nur den blauen Himmel über der Kuppel des Weges. Aber je weiter wir uns hocharbeiten, desto mehr öffnen sich die Hänge links und rechts, langsam tauchen die ersten Dolomitengipfel am Horizont auf und dann eröffnet sich uns schlagartig das volle Panorama des Kreuzjochs."

Auf dem Kreuzjoch hat man einen Rundumblick der Superlative. Die Dolomiten in all ihrer Pracht. Da es auch hier noch vor wenigen Tagen regnete ist die Luft völlig klar. Die Aussicht erscheint endlos.
Direkt auf dem Joch steht ein Tisch mit Bänken. Wir legen unser letztes Brot nebst Käse und Wurst zusammen.

Rolf:
"Diese Auffahrt, grenzwertig steil, ist gegen Ende kaum zu fahren. Dave und ich kämpfen um jeden Höhenmeter.
Doch der Blick vom Joch ist unschlagbar. Schöner als hier oben kann man nicht Brozeit machen. Nur der Pajero, der am Ende der Straße abgestellt ist, will nicht ins Bild passen."

Nach einem kleinen Spaziergang auf dem Joch fahren wir hinab. Das Panorama bleibt atemberaubend. Der Weg ist der Wahnsinn. Vollkommen fahrbar. Oben in Sand und Kies, nach einem Steilstück über mehrere Geröllfelder und weiter unten durch den lichten Wald am Finsterbach entlang. Wir brauchen mit Fotos, Videoaufnahmen und Landschaftsgenuss über zwei Stunden hinab.

An der Grundwald-Alm machen wir eine Pastapause. Mmmmhh - selten so lecker gegessen. Während zwischen unseren Beinen die Hühner der Alm hindurch laufen und wir rundherum die Berge bewundern, zaubern sie in der Küche vier Portionen Hüttennudeln, die nicht zu überbieten sind.
Frisch gestärkt geht es dann zum Pragser Wildsee. Hier wartet schon das Filmteam. Wir drehen mehrere Einstellungen, zu denen wir halb um den See fahren und springen dann ins kühle Nass. Welche Wohltat den Schweiß des Tages vom Körper zu waschen.

Nach 1 ½ Stunden geht es dann weiter, um den See herum, die Straße hinab nach Schmieden und den Wanderweg 37 aufwärts zum Almgasthof Brückele. Auf dem Weg dorthin wird schnell klar, dass wir es heute nicht mehr zur Seekofelhütte schaffen werden. Zudem ist das Gelände bis dorthin eher was zum Wandern.

Dave:
"Wir überlegen vielleicht noch die Rosshütte anzusteuern. Sie liegt auf halbem Weg zur Seekofelhültte. Als wir uns beim Gasthof nach der Auffahrt erkundigen, erfahren wir schließlich, dass der Anstieg kaum fahrbar sein und wir oben im Stall übernachten müssten."

Uns wird geraten über die Plätzwiese zu fahren. Ich stimme dem Rat sofort zu. Und auch Carsten, der vor Jahren schon mal in der Dürrensteinhütte an der Plätzwiese genächtigt hat findet die Idee gut.
So geht es weitere schlappe 600 Höhenmeter im Abendlicht die Straße hinauf. Am rechten Fuß schlafen mir während der Fahrt immer wieder die Zehen ein. Ich halte kurz, um den Schuh etwas lockerer zu binden - der Erfolg ist nicht von Dauer.
Mit Dave zusammen fahre ich voraus. Wir sind voller Energie und kurbeln die Höhenmeter nur so runter. Nebenher erzählen wir uns gegenseitig mehr von uns. In einer Haltebucht kurz vor dem Ziel warten wir auf die anderen. Gemeinsam ziehen wir dann am Hotel Plätzwiesen vorbei und sehen unser Ziel des Tages am Ende des Kieswegs angestrahlt von der untergehenden Sonne.
Neben der Dürrensteinhütte steht die Ruine des Werks Plätzwiese. Die erste Festung des Ersten Weltkrieges, die wir auf der Tour zu sehen bekommen sollten.
Immer wieder posieren wir für die Fotokamera vor dieser Kulisse.

Dave:
"Der Mond kommt nun als riesige Scheibe knapp über dem Horizont hervor und bildet im rötlichen Abendlicht mit der Silhouette von Hütte, Festung und Bergen ein besonders schönes Naturspektakel. Carsten und ich verschießen Unmengen an Bildern. Das Panorama sieht einfach unglaublich aus! Erst beim späteren Auswerten der Fotos kommt uns in den Sinn, dass es sich hierbei ja um einen psychologischen Effekt handelt. Auf den Fotos erscheint er - für uns enttäuschend - so klein wie eh und je!"

Schnell radel ich voraus um noch ein paar Einstellungen mit der Videokamera einzufangen.
An der Dürrensteinhütte angekommen sind wir wieder froh noch etwas zu Essen zu bekommen. Wieder sind wir erst beim Untergang der Sonne im Quartier.
Die Wirtin ist sehr freundlich und Carsten kennt sie noch vom letzten Mal. Sie tischt uns eine Riesenportion Pasta auf und macht uns somit alle glücklich.
Carsten hat weiterhin Probleme mit seinem Knie und humpelt durch die Gaststube. Ein Wanderer sieht dies und gibt ihm eine lindernde Salbe. Er rät ihm die Salbe auf das Knie aufzutragen und eine Folie darüber zu spannen, damit die Creme nicht in den Verband sickert. Carsten folgt dem Rat und benutzte dazu die Folie einer zerrissenen Packung Papiertaschentücher. Der Erfolg, neben der Linderung der Schmerzen, ist die Färbung des Knies in der Coloration der Verpackung - und das für den Rest der Tour.
Am Nachbartisch feiert eine Gruppe Wanderer bis spät bei Bier und Schnaps. Ich bin froh mich an dem Abend nicht fürs Matratzenlager entschieden zu haben. Im Zimmer habe ich es ruhig.
Dave berichtete am Morgen darauf von Schnarchenden, Lärmenden und Angetrunkenen im Matratzenlager. Am Schlafen letztlich konnte es ihn aber auch nicht dauerhaft hindern. Wir hatten doch wieder einiges geschafft an diesem Tag.


Dave:
"Rolf und ich hingegen haben unsere Betten im Matratzenlager stehen. Zum Glück gibt's Ohropax! Aber auch das hilft nicht viel, wenn man direkt über der größten Schnarchnase des Lagers liegt ... und gegen gewisse Ausdünstungen schon gar nicht!"

Rolf:
"Ohropax ist Standard, wenn es auch nicht immer hilft. Doch diese Nacht schlafe ich trotz der Mitbewohner und aller ihrer Emissionen wie ein Stein."

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